Orgelimprovisationen über
“Lob und Dank, Vertrauen und Bitte”
1986 – 1989
Vier der fünf hier vorgelegten Improvisationen entstanden an der „Hausorgel“ Franz Lehrndorfers im Münchner Liebfrauendom. Allerdings noch an dem „alten“, 1957 von Josef Zeilhuber errichteten Instrument. „Großer Gott, wir loben Dich“ beginnt wiederum – wie schon in Vol. 5 bei „Lobe den Herrn“ zu hören – mit dem Zitat des „Te Deum“. Stilistisch ist Lehrndorfer diesmal hörbar inspiriert vom sinfonisch-orchestralen Farbenspiel der französischen Tradition. Schließlich hat er unmittelbar zuvor Guilmants 1. Orgelsonate bzw. Orgel-Symphonie op.42 interpretiert. Nach den ersten Minuten dann lüftet sich der Klangschleier, und zu einem Scherzo-haften Ritornell tritt die wohlvertraute Melodie „Großer Gott, wir loben Dich“ erstmals auf den Plan. Es folgt ein ungestümer „Erlkönig“-Ritt mit augmentierter Choralmelodie im Pedal und – nach meditativem Innehalten – die obligatorische Lehrndorfer-Fuge, abgeleitet diesmal aus den ersten fünf Tönen der Melodie.
Die zweite Improvisation über „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ entstand im Juni 1986 in der Regensburger Neupfarrkirche im Zuge der Feierlichkeiten zur neu errichteten, dreimanualigen Jann-Orgel. Diesmal beginnt das Ganze mit mystischen Mixturklängen und ausgiebigem Gebrauch des Dynamik-Schwellers. Schließlich gilt es, die Besonderheiten des neuen Instruments zu demonstrieren, zu denen auch die tremulierte „Vox coelestis“ zählt. Und auch bei dieser Improvisation zeigt sich der Stegreif-Künstler Lehrndorfer durchaus beeinflusst vom Interpreten Lehrndorfer, der eben erst einen weiten stilistischen Bogen gespannt hat von John Stanley über Sigfrid Karg Elerts „Homage to Handel“ und Marcel Duprés „Magnificat I“ bis hin zur „A-Dur-Suite“ op. 25 von Josef Haas.
Wenngleich der Improvisator Lehrndorfer, wie andernorts bereits festgestellt, ein Künstler „sui generis“ ist und eben kein Stil-Imitator, so scheinen seine Spontan-Darbietungen am Ende seiner Konzerte doch so etwas zu sein wie die Summe des dargebotenen Gesamtprogramms. Vergleichbar ist dies vielleicht mit der (ursprünglich) improvisierten Kadenz des Solisten in einem Klavier- oder Violinkonzert. Und nur derjenige, der wirklich über dem Notentext steht und dessen Inhalte hinreichend verdaut hat, wird dann auch zu dieser Art von persönlichem Kommentar imstande sein. Dass sich Lehrndorfer andererseits, wenn er über „Straf mich nicht in deinem Zorn“ improvisiert, nicht stilistisch vereinnahmen lässt von einem unmittelbar zuvor gespielten Monolithen wie Regers „Wachet auf“-Phantasie, spricht ebenfalls Bände: Eher liegt seine Erwiderung in verspielter Leichtigkeit – mündend freilich, wie so oft, in die vom Publikum bereits herbeigesehnte Lehrndorfer-Fuge.
Das Lied „Nun danket alle Gott“, extemporiert am Ende eines Münchner Domkonzerts, in dem Lehrndorfer für den verhinderten Michael Schneider einspringt, gerät gar zwischen die Fronten eines Sinfonikers wie Franz Liszt – dessen „B-A-C-H“ zuvor erklang – und des viel eher an liedhafter Schlichtheit orientierten Improvisators Lehrndorfer. So gesehen ist die Wahl des „Nun Brüder, sind wir frohgemut“ als Ausklang dieser Improvisations-CD durchaus konsequent. Denn nicht nur, dass hier einmal mehr der rauschhaft-beschwingte 12/8-Ryhthmus eine wichtige Rolle spielt: Der Haupt-Akzent dieser Ad-Hoc-Darbietung, bei der der erlösende Choral herrlich lange herausgezögert wird, liegt eindeutig auf „frohgemut“.
Matthias Keller