Orgelimprovisationen über
“Lob und Dank, Vertrauen und Bitte”
1967 – 1976
Im Laufe seiner über drei Jahrzehnte andauernden Tätigkeit als Organist am Münchner Liebfrauendom hat Franz Lehrndorfer das umfangreiche Kapitel der Lob- und Danklieder sicherlich besonders häufig im Gottesdienst gespielt. Und doch stellte sich hierdurch bei ihm keinerlei routinebedingte Abnutzung ein. Im Gegenteil: die fünf auf dieser CD zu hörenden Live-Aufnahmen, entstanden zwischen 1967 und 1976, sind beredte Dokumente eines unermüdlich Suchenden – was ja die ureigene Triebfeder aller Improvisation ist.
Diese Suche beginnt bei Lehrndorfer aber keineswegs zögerlich oder gar kleinlaut, sondern eher vollgriffig aus der Gewissheit heraus, dass der Appetit sich beim Essen schon einstellen wird, ist erst einmal ein Anfang gemacht.
„Herr, ich bin Dein Eigentum“, aufgenommen an der Eisenbarth-Orgel der St. Heinrichs-Kirche, Fürth, beginnt zunächst wie eine typische Fugen-Eröffnung alla Lehrndorfer, entpuppt sich wenig später jedoch als freies Präludium mit lose eingeflochtenen Motiv-Bausteinen. Erst nach dieser forschen Eröffnung tritt die eigentliche Melodie zu ritornellartigem Figurenwerk in Erscheinung. Es folgen eine Toccata mit der Choralmelodie im Pedal und die unausweichliche Fuge, deren formaler Plan freilich im Kopf längst feststand. Absolut spontan dagegen der Inhalt, gipfelnd schließlich in einer Art musikalischem Doppelpunkt: hier nun setzt die Gemeinde sangesfreudig ein, und man fühlt sich erinnert an Bachs Arnstädter Praxis – nur dass bei Lehrndorfer die Gemeinde offenbar keineswegs „confundiret“ wird durch allzu kühne Harmonisierungen.
Überraschungen jedoch gehören bei Lehrdorfers Improvisationen ebenfalls zum Repertoire. So eröffnet er seine Improvisation in der Düsseldorfer St. Franziskus-Xaverius-Kirche über „Lobe den Herren“ mit dem lateinischen „Te Deum“ und gestaltet den gesamten ersten Teil mit motivischen Ableitungen hieraus. Erst dann folgt, wiederum zum obertonreich-transparent registrierten Ritornell, die vom Publikum erwartete Melodie.
Insgesamt dreimal ist der Improvisator Franz Lehrndorfer auf dieser CD an der Düsseldorfer Klais-Orgel zu erleben, und bei genauerem Hinhören gewinnt man den Eindruck, dass er von Jahr zu Jahr vertrauter mit dem viermanualigen Instrument und seiner nicht alltäglichen Disposition umgeht. Das Programm-Motto lautet stets – zur Unterscheidung von anderen Gastorganisten – „Deutsche Orgelmusik“. Und so extemporiert Lehrndorfer in seinem dritten Programm 1972 nach Literatur von Bach, Schumann, Reger und einer Uraufführung von Günter Bialas über das urdeutsche Kirchenlied „Die güldne Sonne“ in absolut adäquater Manier: vom toccatenhaften Auftakt mit Fanfarencharakter über mittelalterlich anmutende Zungenregistrierungen mit barocken Terrassierungs-Effekten bei gemäßigt moderner Harmonisierung bis hin zur obligatorischen „Lehrndorfer“-Fuge.
Die Improvisation über „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ schließlich entstand im September 1976 als Ausklang eines Duo-Konzerts zusammen mit dem Trompeter Rolf Quinque im Münchner Liebfrauendom. Neben einem Trompetenkonzert von John Stanley waren dort Werke von Johann Sebastian Bach, Karl Höller und Jan Koetsier erklungen. Und Lehrndorfer stellte einmal mehr sein Einfühlungsvermögen unter Beweis, indem er sein Publikum mit der anschließenden Improvisation behutsam aus der musikalischen Moderne in die alte Welt der kirchentonalen, protestantischen Melodie hinüberleitete – um dann freilich am Ende trotzdem im 20. Jahrhundert zu schließen.
Matthias Keller