Improvisationen über Weihnachtslieder

Die “Improvisationen über Weihnachtslieder” wurden 1969 an der Orgel im Konzertsaal der Staatlichen Hochschule für Musik (heute: Hochschule für Musik und Theater) in München aufgenommen.

-1- Variationen über ‘O du fröhliche’
-2- Variationen über ‘Kommet Ihr Hirten’
-3- Variationen über ‘Zu Bethlehem Geboren’
-4- Introduction, Variationen und Fuge über ‘Vom Himmel Hoch’

 

Vorliegende Aufnahme gehört nicht in das gängige Schema der Weihnachtsaufnahmen. Auch ohne die übliche Kerzenschimmer- und Glockenromantik können Weihnachtslieder eine Aussage haben, für den musikalischen Laien wie für den Berufsmusiker – beiden will diese Compact Disc etwas sagen.

Lehrndorfer gehört zu den wenigen Künstlern auf der Seite der sog. “Ernsten Musik”, die jahrhundertealte Tradition der Improvisation fortführen. Mit seinem außergewöhnlichen Maß an Musikalität und handwerklichem Können entwickelt er einen unverwechselbaren Improvisationsstil, in dem sich jeder musikalische Gedanke, so wie er aus dem Augenblick heraus entsteht, frei entfalten kann und zu einer musikalischen Einheit führt.

Lehrndorfer wählt vor allem die Technik der Variation, d. h. die Melodie der einzelnen Lieder wird von Gegenstimmen umrahmt, auch selbst verändert und umspielt, oder bleibt schließlich (ähnlich dem Jazz) nur noch Grundlage einer freieren Entwicklung.

Das so oft verkitschte “O du fröhliche” erhält hier eine eher freudig erregte als gefühlsbetonte Ausdeutung; die unmerkliche Verkoppelung mit “Stille Nacht” in der dritten Variation hat ihren besonderen Reiz. In “Kommet ihr Hirten” kommt das Herbeilaufen der Hirten durch weitausholende Lauf-Passagen voll spielerischer und musikantischer Virtuosität zum Ausdruck. Auch so besinnliche Variationen wie die über “Zu Bethlehem geboren” gleiten nicht ab in das übliche Klischee; frei hinzugefügte kontrapunktierende Gegenstimmen bieten ein starkes Gegengewicht.

Die großangelegte Improvisation über “Vom Himmel hoch” beginnt mit einer harmonisch reichhaltigen Einleitung und verarbeitet zunächst nur den ersten Halbtonschritt der Liedmelodie. Hieraus entwickelt sich dann nach und nach die erste Variation mit dem Thema in der Oberstimme. Allmählich bewegter werdende Variationen führen hin zur abschließenden Fuge, die in einem zwischen Sopran und Bass geführten Kanon ihren Höhepunkt und Abschluss findet.

Ulrich Kraus